Impressionen von Altpastor Norbert Paul 

Mein Talar und ich

1811 wurde eine Entscheidung gefällt, die tatsächlich noch bis in meine eigene Lebenszeit hinein Spuren hinterlassen sollte. 1811 verfügte nämlich der preußische König Friedrich Wilhelm III., dass seine Gelehrten, zu denen Professoren, Juristen und eben Pastoren gehörten, in der Öffentlichkeit ein einheitliches Erscheinungsbild abgeben sollten.

Die Kleidung bestand aus einem schwarzen Talar mit einem Beffchen. Der schwarze Talar wurde zu einem Erfolgsmodell des Protestantismus in Deutschland. Quasi alle Landeskirchen übernahmen ihn in unterschiedlichen Variationen.

Der preußische König ließ sich wohl von Bildern von Martin Luther inspirieren, der darauf angeblich mit einem Talar zu sehen sein sollte. Dies aber entspricht nicht der geschichtlichen Wahrheit.

Bis zur Predigt trug Luther im Gottes-dienst einen Gelehrtenkittel, um auf den unterrichtenden Charakter der Predigt aufmerksam zu machen. Für das Abend-mahl zog er sich um:

Dafür trug er ein weißes liturgisches Ge-wand. Es ist somit festzuhalten, dass es sich beim Talar nicht um ein liturgisches Kleidungsstück, sondern um eine Amtstracht handelt.

Von alledem hatte ich genau null Ahnung, als im August 1981 mein zweiwöchiger Einführungskurs ins Vikariat in Hildesheim begann. Ich wusste nur, dass man bereits als Vikar einen Talar benötigte. Doch woher?

Das Problem löste sich von selbst, weil ein findiger Mitvikar, Mitarbeiter der Gewandschneiderei Eggert aus Hamburg in unseren Kurs einlud.

Von denen erfuhren wir, dass in der hannoverschen Landeskirche ausschließlich zwei Talarformen zugelassen waren, nämlich der klassische preußische Talar oder der hannoversche Talar, der durch umgelegte Falten eine geringere Stofffülle aufweist. Dazu gab es Sommer- und Wintertalare mit unterschiedlichen Stoff-gewichten, Materialien usw.

Da mir meine Mutter meinen Talar zum Examen schenken wollte, entschied ich mich in Rücksprache mit ihr für das Spitzenmodell: Preußische Form aus reiner Schurwolle. Kosten: gut 1000 DM. Dann wurden noch sorgfältig meine Körpermaße abgenommen, denn selbstverständlich war der Talar maßgeschneidert. Er sollte nach 2-3 Monaten per Post geliefert wer-den.

Gespannt wartete ich auf das Paket. Als es dann Anfang November eintrudelte, war ich sehr gespannt und hätte mir meinen neuen Talar am liebsten sofort angezogen. Leider fehlte dafür die Zeit, weil in kurzer Zeit für mich Konfirmandenunterricht auf dem Programm stand. Was also tun? Kurzerhand klemmte ich mir das Paket unter den Arm und nahm es mit zum Unterricht.

Vor den Augen der staunenden Konfis riss ich den Karton auf, nahm das Pracht-stück heraus und legte es an. Dann noch schnell das Beffchen eingeknöpft und wie ein Mannequin drehte ich mich im Kreis. Während ich stolz wie Bolle war, unterdrückten die Konfis nur mühsam ein Kichern.

Im Laufe meiner langen Amtszeit entdeckte ich alle Vor- und Nachteile meines Talars. Ein wesentlicher Vorteil liegt darin, dass ich mir bei den Gottesdiensten oder Amtshandlungen niemals Ge-danken darüber machen musste, was ich denn nun anziehen soll.

Und ein weiterer riesiger Vorteil liegt in der Tatsache begründet, dass er auch bei unpfleglichster Behandlung nie nachtragend war.

Auch wenn ich ihn mal achtlos ins Auto oder über einen Sessel warf, waren die ganz leichten Knitterspuren schon nach kurzer Zeit verschwunden.

Aber auch die Nachteile will ich nicht verschweigen. Wer schon einmal versucht hat, in einem unbeheizten Neben-raum einer Friedhofskapelle eine 12-knöpfige Knopfleiste bei minus 5 Grad zu schließen, der kann sich die Herausforderung vorstellen.

Auch, wenn ich mir sehr schnell angewöhnte, immer von unten zu knöpfen, waren bei steifgefrorenen Händen oft drei oder noch mehr Versuche nötig.

Im Hochsommer dagegen war ich gerade im Freien binnen Minuten komplett durchgeschwitzt. Ja, ich hatte so manches Mal den Eindruck, dass unter dem Talar ein regelrechter Hitzestau entstand.

Ein weiteres Problem bestand in der ungeheuren Stofffülle des Talars. Da musste man sich freistehenden Gegenständen wie Kerzenständern, Stühlen oder Notenständern immer mit äußerster Vorsicht nähern und sie weiträumig um-schiffen.

Apropos Kerzenständer: Gleich bei meiner allerersten Trauerfeier in Gadenstedt brannte ich mir in jeden meiner Talarärmel ein Loch.

Unsere damalige Bestatterin Elsa Kück hatte wohl noch die Dimensionen meiner Vorgängerin Susanna Kempin im Blick, weil sie die beiden Kerzenständer zwischen Rednerpult und Sarg so eng stellte, dass ich einfach nicht dazwischenpasste.

Ich bemerkte das selbst erst dann, als sich plötzlich ein sehr unangenehmer Geruch von Verbranntem in meiner Nase breit machte.

Probleme hatte ich beim Tragen des Talars auch oft mit Treppen oder beim Hin-knien. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang heißt „Reffen“. Vergisst man es beim Knien, so ist es unmöglich, in einer aufrechten Haltung zu knien und das merkt man sehr schnell in seiner Oberschenkelmuskulatur.

Bei Treppen tritt man ohne gerefften Talar bei der ersten Stufe auf den unteren Rand. Man versucht, den Talar unter dem Fuß herauszuziehen, doch das gelingt selten. Also nimmt man die nächste Stufe und der Talar schiebt sich noch weiter unter den Fuß, so dass man von Stufe zu Stufe immer gebückter geht,

Wie oft ist mir das passiert, als ich als Bläser die Treppe zur Posaunenchorempore nehmen musste. Das Schlimmste, was mir in diesem Zusammenhang widerfuhr, war indes bei einer Trauung in Klein Ilsede. Das Brautpaar hatte sich eine Abendmahlsfeier gewünscht und ich hatte angeboten, es an die Gäste auf der Empore auszuteilen.

Zum Reffen des Talars hatte ich keine Möglichkeit, weil ich die Abendmahlselemente in der Hand hielt. Also quälte ich mich in der fast schon gewohnten Haltung die Treppe hoch. Oben angekommen, stellte ich die Abendmahlselemente erst einmal auf den Boden, um mich selbst und meinen Talar zu sortieren. Vor allem genoss ich es, mich wie-der aufrichten zu dürfen.

Doch leider übersah ich dabei, dass mitten über meinem Kopf ein Balken die Empore stützte. Er war leider so niedrig, dass ich mit voller Wucht mit meinem Kopf dagegen knallte, mir eine gewaltige Beule einhandelte und ich leicht benommen die Trauung beenden musste.

In die Diskussion um die Amtstracht evangelischer Geistlicher ist gerade in den letzten Jahren viel in Bewegung geraten. In der Frage nach weißen oder gar farbigen Gewändern (wie in den skandinavischen lutherischen Kirchen), dem Tragen von farbigen Stolen zum schwarzen Talar, frauen-spezifischeren Talaren oder gar der Verzicht auf eine Dienstkleidung, gibt es sehr unterschiedliche Meinungen.

Über Beffchen und Barrett müsste auch noch das eine oder andere gesagt werden, aber das bleibt einem späteren Beitrag vorbehalten, wenn es wieder heißt „Impressionen von Altpastor Norbert Paul“.

Und der grüßt Sie und Euch sehr herzlich,

Norbert Paul

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