Erinnerungen von Altpastor Norbert Paul

„Die doofen Deutschen…“

Stammesfahrt nach Prag und Ungarn 1991

Ein Glücksfall für ganz Europa war die Glasnost-Politik von Michail Gorbatschow, in deren Folge der eiserne Vorhang zerfiel. Und so war es nur folgerichtig, schon bald nach der Wende in zwei Länder zu reisen, die zuvor unter der Einflusssphäre der Sowjetunion standen.

So bot ich 1991 für unseren Pfadistamm St. Andreas eine Fahrt nach Prag und Ungarn an. Mit nur einem VW-Bus waren wir unterwegs. Die Fahrer Andreas Knop und ich sowie sieben Pfadfinder*innen ab 15 Jahren. Die Anreise gestaltete sich um Stunden länger als ich zuvor berechnet hatte. Das lag zum einen an unserer ersten Zwischenstation Dresden, wo wir uns interessiert manche Sehenswürdigkeit ansahen. Zum anderen aber auch an den Zuständen an der tschechoslowakischen Grenze, an der wir noch in einer Autoschlange standen, unsere Reisepässe vorzeigen und abstempeln lassen mussten und recht streng kontrolliert wurden. So war es schon stockdunkel, als wir in die noch dörflichen Vororte Prags kamen.

Mithilfe eines Reiseführers fanden wir einen Campingplatz, der sehr schön gelegen war, aber eben noch rund 15 km vom Stadtzentrum Prags entfernt lag. Am nächsten Morgen testeten wir die Möglichkeiten des öffentlichen Verkehrs mit Bus und Straßenbahn, der uns spottbillig und schnell ins Herz von Prag brachte. An zwei Tagen ließen wir Karlsbrücke, Prager Burg, Altes Rathaus mit Sonnenuhr und die vielen anderen alten Gassen, Plätze und Gebäude der Millionenstadt auf uns wirken. Für den letzten Abend in Prag hatten wir uns vorgenommen, noch ein wenig ins Kneipen- und Nachtleben der Stadt einzutauchen. Auf unserem Campingplatz lief ein Lichtband, das darüber informierte, dass eine Taxifahrt vom Zentrum bis zum Campingplatz höchstens umgerechnet 20 DM kosten dürfe. Das war für die drei Taxis, die wir brauchen würden und unser Reisebudget in Ordnung.

Also machten wir uns einen netten Abend in einer Altstadtkneipe, bevor wir gegen Mitternacht die Rückfahrt per Taxi ins Auge fassten. Ein Taxi zu finden, bot keinerlei Probleme. Sicher 15 Taxis standen in Reichweite und warteten auf Fahrgäste. Nach ein bisschen Feilschen auf Englisch fanden wir tatsächlich recht schnell zwei Taxifahrer, die zum anvisierten Preis unsere Pfadis zum Campingplatz zurückfahren wollten. So waren die sechs jüngsten Teilnehmer*innen schnell verstaut. Doch dann wurde es zäh. Auch nach intensivsten Verhandlungen in auf beiden Seiten mangelndem Englisch fanden wir keinen Fahrer mehr, der uns für unter 30 DM in den Vorort kutschieren wollte. So gab ich für uns drei ältesten Pfadis das Motto aus: „Wir lassen uns nicht über den Tisch ziehen“ und regte gleichzeitig an, dass wir uns zu Fuß Richtung Campingplatz auf den Weg machten. „Mit kürzerer Entfernung muss es ja billiger werden“, war ich überzeugt und machte uns gleichzeitig Mut.So stiefelten wir durch das nächtliche Prag. Bald lag das anheimelnde Stadtzentrum hinter uns und wir bewegten uns durch Wohngebiete. Dennoch stießen wir hin und wieder auf Taxis, aber statt eines günstigeren Transportes wurde der Preis immer höher. Dankbar lehnten wir ab. So latschten und latschten wir und langsam machte sich Erschöpfung breit. Dann fanden wir einen Nachtbus, mit dem wir aber leider auch nur einige Haltestellen Richtung unseres Vorortes fahren konnten.

Etwa 5 Kilometer vor unserem Campingplatz trafen wir erneut auf ein Taxi. Auch auf Druck meiner Mitstreiter und meiner geschundenen Füße setzten wir uns schließlich in das Auto. Wir verzichteten auf jegliche weitere Verhandlungen, zumal uns aus dem Fahrzeug eine unverkennbare Cannabis-Wolke entgegen strömte. Der Fahrer stellte sein Taxameter an und raste unter Missachtung jeglicher Geschwindigkeitsbeschränkungen oder Verkehrsregeln los. Schon nach wenigen Minuten erreichten wir den Campingplatz und waren froh, dass die zahlreichen Stoßgebete geholfen hatten. Unversehrt kamen wir an. Und ohne weitere Diskussionen überreichte ich dem Fahrer die umgerechnet knapp 40 DM, die das Taxameter anzeigte. Als ich mir später den ganzen Vorgang noch einmal durch den Kopf gehen ließ, da kam ich zu folgendem Schluss, den ich natürlich nicht beweisen kann: Ich bin mir sicher, dass schon seit dem Prager Zentrum die Taxifahrer in Funkkontakt standen und sich gegenseitig die drei doofen Deutschen zuschustern wollten, die zu Fuß durch das nächtliche Prag pilgerten und bei jedem Taxi um den Fahrpreis feilschten. Ob mein Verdacht stimmte oder nicht, ich werde es nie herausfinden und buchte das Ganze unter dem Stichwort „Erfahrungen“ ab.

Und Erfahrungen machten wir dann auch noch reichlich in Ungarn. Ich kann hier nur einige wenige in aller Kürze wieder-geben, weil das sonst zu viel Platz im Gemeindebrief beanspruchen würde.Gleich hinter der ungarischen Grenze mussten wir unseren Bus betanken. Wir fanden schnell eine Tankstelle und füllten den Tank mit Diesel. Als ich bezahlen wollte, fragte mich der Tankwart nach den Bezugsscheinen. Die hatte ich nicht, was ich dem Mann mit Händen und Füßen klarzumachen versuchte. Schließlich einigten wir uns auf Bezahlung in DM und ich hatte hinterher den Eindruck, dass der Tankwart mit dieser Regelung durchaus zufrieden war. Inzwischen hatten wir riesigen Hunger und wir besuchten ein kleines aber durchaus feines Restaurant im selben Ort. Als uns die Speisekarten überreicht wurden, verzogen sich unsere Gesichter und Mägen zu Fragezeichen. Ausschließlich in ungarisch wurden die Speisen angeboten. Auch mit englisch oder deutsch kamen wir bei der Bedienung nicht weiter. Letztendlich bestellten wir neun verschiedene Gerichte, ohne zu wissen, was uns mit dieser Bestellung erwarten würde. Die meisten Speisen, die wir daraufhin erhielten, waren überaus wohlschmeckend. Und jede und jeder von uns probierte von allen Gerichten. So wurde es ein lustiger und spannender Schmaus. Nur die servierte Gulaschsuppe empfanden wir wegen ihrer kolossalen Schärfe irgendwie als Angriff auf die Menschheit oder zumindest auf eine deutsche Jugendgruppe.Auf dem Campingplatz in Eger gab es ein sehr schön romantisches Felsenrestaurant. Dort spielte eine Sinti-Kapelle die bekannt feurige Balkanmusik. Dafür baten die Musiker die Gäste um Spenden. Offenbar war Andi noch nicht so recht mit dem Wechselkurs des Forint (ung. Währung) vertraut, so dass er viel zu viel Trinkgeld gab. Folge: Die Kapelle spielte während unseres gesamten Essens mit großer Inbrunst an unserem Tisch, obwohl wir uns spätestens nach einer Viertelstunde dann doch lieber in Ruhe unter-halten hätten.Im berühmten Weinort Tokaj nahmen wir an einer Weinprobe teil. Wie herrlich war es, bei 40 Grad Außentemperatur in einem 15 Grad kühlen Weinkeller zu sitzen und die unterschiedlichen Weinsorten zu verkosten. Am besten mundete uns ein halbtrockener Weißwein, der eiskalt ser-viert wurde. Für unsere Lagerfeueraben-de nahmen wir uns einen Zehnliterkanis-ter mit. Da wir auf dem Campingplatz keinerlei Kühlmöglichkeit hatten, mussten wir den Wein gut gewärmt trinken. Dadurch hatte sich der Geschmack dermaßen verändert, dass der Wein kaum zu genießen war. So schütteten wir mindestens acht der zehn Liter schließlich weg.Apropos Baden: Wir fanden wunderbare Bäder, gespeist aus unterirdischen heißen Quellen und mit ganz vielen Heilstoffen versetzt.

Prag bei Nacht – Julius Silver via Pexels

Aber auch tolle Badeseen, die überwiegend von Einheimischen besucht wurden. Ein Ziel unserer Ungarntour war natürlich auch der Plattensee (Balaton), eigentlich das touristische Highlight Un-garns. Aber bevor wir dort auf einem Campingplatz eincheckten, nahmen wir zunächst ein Bad im Balaton. Nach kurzer Zeit im Wasser flüchteten wir fast panisch wieder raus, weil wir von Dutzenden toter Fische umgeben waren. Des Rätsels Lösung konnte uns ein Reiseführer liefern. In dem stand, dass der zwar große, aber eben auch sehr flache Plattensee regelmäßig im Sommer „umkippt“. Grund ist die riesige Menge an Sonnenöl, das von den Gästen ins Wasser transpor-tiert wird.In Tissafüred besuchten wir eine Disco, in der vor allem Ungar*innen zusammen-kamen. Zwar warnte uns unser Technik-experte Andi vor einem zu direkten Blick in die verwendeten Laserstrahlen. Aber ansonsten hatten wir einen Riesenspaß. Der wuchs – vor allem für die Einheimischen – noch kolossal, als wir aus dem Bully unsere Musikkassetten (für die jüngeren Leser*innen: seit den 1960er Jahren benutzter Tonträger) holten und zum Abspielen zur Verfügung stellten. Unser favorisierter Freizeitsong in diesem Jahr war „losing my religion“ von REM, was noch nicht auf der Playlist der Disco vorhanden war.

Soweit meine persönlichen Eindrücke von der dritten Auslandsfahrt unseres Pfadfinder*innenstammes St. Andreas. Dass solche Fahrten für die Teilnehmer*innen auch immer ein Stück lebensprägend sind, liegt auf der Hand. 1996 habe ich als Kirchenkreisjugendpastor noch einmal eine ähnliche Freizeit für Jugendliche aus dem Kirchenkreis Ölsburg organisiert.

Damals waren 15 Jugendliche und drei Tea-mer dabei und es hatte sich im Vergleich zu 1991 schon eine Menge verändert. Nicht alles übrigens zum Besseren!Gestattet mir zum Schluss noch ein kurzes persönliches Wort.

Seit meinem Ruhestand Anfang letzten Jahres haben mich zahlreiche Grüße und auch kleine Geschenke erreicht. Dafür bedanke ich mich herzlich! Die Pralinen waren übrigens sehr lecker!

Damit grüße ich Euch alle sehr herzlich,
Euer Altpastor Norbert Paul

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