Erinnerungen von Altpastor Norbert Paul…

Einmal im Leben – Glockenguss in Karlsruhe

Nachdem Sabine und ich am 28. Januar 2010 den Reisebus bestiegen und unsere Plätze direkt schräg gegenüber dem Fahrer eingenommen hatten, da ging mir noch einmal durch den Kopf, was uns hierher geführt hatte. Unser Ziel war nämlich Karlsruhe, wo morgen unsere drei neuen Bronzeglocken bei der Glockengießerei Bachert gegossen werden sollten.

Schon 2003 hatte der Glockensachverständige der Landeskirche Andreas Philipp darauf hingewiesen, dass unsere bei-den Stahlglocken, die seit 1920 vom Turm der St. Andreaskirche läuteten, wohl bald erste Risse aufweisen würden, die nicht mehr repariert werden könnten. Also mussten neue Glocken her. Doch ein solches Mammutprojekt wollte ich der Gemeinde und auch mir selbst nicht zumuten, zumal wir erst 2004 unsere langjährige Aktion zur Restaurierung der Orgel abschließen konnten. Doch nach vielen Gesprächen wurden die Nöte um unsere Glocken 2007 in einer Gemeindeversammlung vorgestellt und es fanden sich sofort engagierte Menschen zur Bildung eines Glockenausschusses.

Den Vorsitz übernahm Alexandra Effe und in einer grandiosen Fundraisingaktion gelang es dem Ausschuss mit Spendenbriefen, persönlichen Ansprachen, tollen Veranstaltungen und kreativen An-geboten in noch nicht einmal drei Jahren die Mittel für den Guss von gleich drei Bronzeglocken einzuwerben. Und so saßen wir in diesem vollbesetzten Reisebus und harrten voller Vorfreude der Dinge, die da kommen sollten. Die Freude reichte erst einmal nur bis Kassel. Denn in den berüchtigten Kasseler Bergen hatte es heftig zu schneien angefangen und die LKWs standen bereits kreuz und quer auf der Autobahn. Doch mit viel Fingerspitzengefühl und dem Vertrauen auf die technischen Fähigkeiten seines Busses steuerte unser Fahrer den Bus sicher um die Hindernisse herum.

Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir Karlsruhe und bezogen das innen-stadtnahe schöne Hotel, das Rita Bartels für uns ausgesucht hatte. Den Abend verbrachten Viele unserer Reisegruppe in einem zünftigen Brauhaus, wo man auf die kupfernen Braukessel blickte und deren Inhalt dann gleich ausgiebig verkostete. Für den nächsten Vormittag stand zunächst eine Führung durch Karls-ruhe auf dem Programm. In dieser Stadt ist ja der Sitz der beiden höchsten deutschen Gerichte. Ansonsten war zumindest ich nicht sonderlich beeindruckt von Karlsruhe. Aber vielleicht machte sich bei mir auch schon die Ungeduld breit, endlich zur Firma Bachert aufzubrechen.

Als unser Bus dann schließlich das Firmengelände er-reichte, war das ganze Ambiente gleich so, wie ich es mir vor-gestellt hatte. Überall standen Glocken und Glockenstühle. Glocken jeder Größe, manche beschädigt, die meisten unversehrt, manche offenbar frisch gegossen und auf den Transport wartend, andere jahrhundertealt und ausgemustert oder auf einen neuen Besitzer harrend.

Jedenfalls waren wir an einem geschichtsträchtigen Ort gelandet und das war genau der richtige Ort für den Guss unserer neuen Glocken. Sicherlich ein heiliger Ort, ein Ort des Heils, das mit Jesus Christus verbunden ist. Und ich dachte an das „Ich-bin“-Wort Jesu, das unsere größte Glocke zieren sollte:

Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt, und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben.

Johannes 11, 25

Dieser Kern der christlichen Botschaft musste einfach einen Platz auf unseren Glocken finden. Ich war noch ganz in Gedanken versunken, als uns der Firmeninhaber Albert Bachert herzlich begrüßte. Uns wurden Getränke und Häppchen gereicht und wir wurden in einen Filmvorführraum geleitet. Der Film zeigte dieses wunderbare Handwerk des Glockengießens, das sich seit Schillers Lied von der Glocke und den Jahrhunderten davor kaum verändert hat.

„Fest gemauert in der Erde steht die Form aus Lehm gebrannt“, so galt es damals, so gilt es bis heute. Natürlich kommen heutzutage moderne Techniken dazu und wir erfuhren, dass jede Gießerei ihr ganz eigenes Geheimnis hat. Dieses Geheimnis wird streng gehütet und jeder neue Auszubildende und jeder Geselle, der die Firma wechseln möchte, muss eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen. Es folgte eine Führung durch die Gießerei und dann sollte der Guss eigentlich bald beginnen.

Doch ein Mitarbeiter setzte uns in Kenntnis, dass kurzfristig einer der Brennöfen ausgefallen war. Dieser musste zunächst repariert werden und somit würde sich der Guss um eine gute Stunde verzögern. Okay, dachte ich. Auf dem Gelände gab es ja genug zu bestaunen oder man konnte einen Spaziergang in der Umgebung unternehmen.

Als wir alle nach einer Stunde wieder eintrudelten, erwartete uns dann die wirkliche Hiobsbotschaft: Die Reparatur des Ofens würde noch erheblich länger dauern und es war noch nicht abzusehen, ob der Guss tatsächlich heute, am 29. Januar 2010, erfolgen könne. In zwei Stunden sollte ein neuer, dann aber wohl letzter Versuch unternommen werden.

Nun machte sich natürlich Frust unter uns breit. Sollten wir die lange Reise unternommen haben, um dann unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren zu müssen? Die Stimmung sank auf den Tiefpunkt. Ich ging mit einigen Leuten in ein nahe gelegenes Einkaufszent-rum, wo wir durch die Geschäfte bummelten, um dann in einem Imbiss etwas zu essen und zu trinken. Immer wieder schauten wir auf die Uhr. Die Zeit schien kaum voranzugehen.

Es wurden die längsten zwei Stunden unserer Reise. Mit klopfenden Herzen kehrten wir endlich zur Gießerei zurück. Und tatsächlich: Der Ofen konnte tatsächlich repariert wer-den, der Guss konnte stattfinden! Mit einer weiteren Gruppe, die auch auf den Guss ihrer Glocken wartete, wurden wir in den Gießraum geführt und Herr Bachert sprach einige traditionelle Worte, um den Gießprozess einzuleiten. Dann verlosch das elektrische Licht und die Öfen wurden entzündet.

Schnell war der Raum rußgeschwängert und die Atmung fiel schwer. Zwischen den Öfen standen mehrere Arbeiter in ihren Schutzanzügen und das Ganze kam mir in dieser Situation eher wie der Vorhof zur Hölle vor, statt eines heiligen Momentes. Und dann nervte die übereifrige Kollegin der anderen Gruppe, die offenbar mit ihrer Kantorin irgendeine Choreographie vorgesehen hatte, die dann leider aus mir nicht ersichtlichen Gründen misslang. Beide reagierten recht hysterisch, was mich von den unwirklichen Bildern vor mir ablenkte.

Als dann die Kanäle für die flüssige Bronze geöffnet wurden, änderte sich die Szenerie schlagartig. Der Vorhof der Hölle wurde schlagartig vom Himmel, der sich auf die Erde senkte, verdrängt. Und ich dachte an das Jesus-Wort auf unserer kleinsten Glocke: 

Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Johannes 8, 12

Immer mehr flüssige Bronze wurde in die Kanäle geleitet und durch verschiedene Weichen zu den etwa zehn Glocken geleitet, die heute gegossen wurden. Unsere Glocken wurden zuletzt gegossen, denn sie waren mit Abstand die größten und schwersten, benötigten also auch die meiste Bronze. Ich ertappte mich der Sünde des Hochmuts, weil mich mit Stolz erfüllte, dass selbst unsere kleinste Glocke um ein Vielfaches größer war als alle weiteren Glocken, die für andere Gemeinden gegossen wurden.

Währenddessen wurden Zettel verteilt und alle An-wesenden stimmten das Lied „Großer Gott, wir loben dich“ an. Und sofort lief mir, und sicher nicht nur mir, ein wohliger Schauer über den Rücken. Oh ja, in diesem Moment ist uns Gott tatsächlich ganz nahe gekommen. Wie lange der ganze Vorgang dauerte, kann ich heute nicht mehr sagen. In solchen Augenblicken ist Zeit sehr relativ.

Als wir unsere Rückreise antraten, war es im Bus erstaunlich still. Offensichtlich hing jede und jeder noch seinen und ihren eigenen Gedanken nach. Dabei gewesen zu sein, war ein echtes Geschenk gewesen. Ein Geschenk, das den allermeisten – wenn überhaupt – nur einmal im Leben widerfährt. Aber wer die Gelegenheit bekommt, der sollte sie nutzen, denn so nahe kommen sich Himmel und Erde tatsächlich nur selten.

Ich grüße Euch alle sehr herzlich,

Euer Altpastor Norbert Paul

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