Auf ein Wort

Ein Gebet für alle Fälle

Manchmal besteht mein Beruf tatsächlich – wie man sich das eben bei einer
Pastorin so vorstellt – aus Beten. Und ichdenke, das ist schön.
Oft bete ich mehrmals am Tag das Vater Unser mit ganz unterschiedlichen Men-
schen. Und jedes Mal klingen die vertrauten und bekannten Worte ganz unter-
schiedlich, ich höre und sage sie immer wieder neu.

Zum Beispiel vormittags bei einer Trauerfeier, am Grab. Da höre ich „dein Wil-
le geschehe“ besonders laut oder „denn dein ist das Reich und die Kraft“. Nicht
immer ist es leicht zu ertragen, dass ein Leben zu Ende gegangen ist. Nicht im-
mer können wir verstehen, warum und warum jetzt. Da tröstet dann nur die
Hoffnung auf ein Wiedersehen in Gottes Reich, in dem der liebe Mensch jetzt oh-
ne Tränen und Schmerzen neu leben kann. Nicht immer weiß man, wenn man
am Grab steht, woher die Kraft für die nächsten Schritte, die nächsten Minuten,
die nächsten Tage ohne diesen Menschenkommen soll. Aber Gott hat die Kraft,
erinnern wir uns dann gegenseitig. Er ist die Kraft und er wird sie auch uns geben.
Am Nachmittag bete ich dann das Vater Unser mit den Konfis. Nachdem wir zum
Ankommen vor Gott gebracht haben, was gerade gut ist in unserem Leben
oder auch, was uns gerade das Lebenschwer macht. Manch einer ist sich noch
unsicher mit den Worten, stolpert so durch, hängt sich an seine Nachbarn
links und rechts. Da kommen die Worte eher zögerlich, fragend. Um so schöner,
dass wir gemeinsam beten, der eine das Wort kennt, das die andere gerade nicht
weiß. Ein Wortteppich entsteht, wir tragen uns gegenseitig durch das Gebet,
werden Gemeinschaft, weil wir etwas gemeinsam tun, das dadurch gewinnt,
dass wir es gemeinsam tun.

Am Abend dann bete ich das Vater Unser noch einmal mit unserem Kirchen-
vorstand nach der Sitzung. Nachdenklich kommen die bekannten Worte da bei
einer. Sie hängt noch an den Diskussionen der vergangenen Stunde oder ist in
Gedanken schon bei den Herausforderungen des nächsten Tages. Klar, laut
und überzeugt schmettert es der andere. Im Konfirmandenunterricht hat er das
Gebet auswendig gelernt und nie wieder vergessen.

Beim Nächsten kommen Bilder, Gerüche, Gefühle wieder hoch, wie er
diese Worte am Küchentisch seiner Oma lernte, ihr immer und immer
wieder nachsprach, während sie das Mittagessen kochte.

Mit den Kita-Kindern und den Kindern im Kindergottesdienst beten wir das Va-
ter Unser mit Bewegungen. Wir zeigen in den Himmel und auf den Boden, wenn
wir beten: „wie im Himmel, so auf Erden“. Wir lassen unsere Muskeln spie-
len, wenn wir von Gottes Kraft sprechen, halten die Hände abwehrend vor uns bei
„und führe uns nicht in Versuchung“, und strecken uns auf Zehenspitzen, wenn
wir von Gottes Herrlichkeit in Ewigkeit erzählen.

Über den Tag, die Woche, das Kirchenjahr, die Konfessionen, die Sprachen und
die ganze Welt hinweg, vereint uns dieses Gebet miteinander. Was für eine
schöne Vorstellung, dass immer, wenn ich diese Worte bete, irgendwo auf der
Welt sie noch jemand mit mir spricht. Wir sie zusammen beten können, selbst,
wenn wir die Sprache des anderen gar nicht verstehen.

Das Vater Unser Gebet kommt von Jesus. Er hat es erfunden und seinen Jün-
gern und Jüngerinnen beigebracht, als sie Jesus fragten, wie und was sie beten soll-
ten. Man kann es in der Bergpredigt des Matthäusevangeliums nachlesen.

Für mich wie für viele Menschen gehört es zur Basis-Ausstattung einer Christin
oder eines Christen. Wenn uns die Worte fehlen und wir uns doch an Gott wenden
wollen, dann haben wir dieses Gebet. Ein Gebet für alle Fälle, weil es immer
wieder neu und doch ganz vertraut in unser Leben spricht.

Worte, Raum und Zeit zum Beten und einen Menschen, der für dich betet, wenn
du es selbst nicht kannst, das wünsch ich dir.

Pastorin Femke Beckert

Foto: Kirchenkreis Peine

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